„Hunde aus zweiter Hand“ sind anders als andere Hunde. Sie bringen eine Geschichte mit sich, die sie geformt hat. Manche machen es einem unglaublich, überraschend einfach und fügen sich in ihrem unbändigen Überlebenswillen einfach in ein neues, in Ihr Leben ein. Sie können aber auch eine echte Aufgabe bedeuten. Der Straßenhund, der ausgesetzte Hund, der Hund, mit dem die Vorbesitzer nicht fertig wurden sind besondere Tiere, die von uns Zeit und Raum brauchen, Ruhe, Gelassenheit, Verständnis und Regeln. Nichts ist für sie mehr, wie es war: Sie brauchen nichts dringender als Rituale. Sie müssen Gewohnheiten aufbauen, wochenlang für genau den gleichen Ablauf sorgen, auf den der Hund sich verlassen kann. Auch wenn es Ihnen längst zum Hals heraushängt: Rituale geben Sicherheit. Die gleichen kleinen Spaziergänge, die gleichen Geräusche, das gleiche Futter, nur wenig Neues und wenn, dann in kleinen Dosen, wenig neue Menschen, kaum fremde Hundekontakte. Er braucht jetzt keine Abwechslung, jeder Moment seines Lebens ist gerade abenteuerlich genug. Lassen Sie ihn schlafen: Sie werden sehen, er braucht es dringend. So ein neues Leben muss erst einmal verarbeitet werden.
Ein Hund, der im Tierheim abgegeben wurde, hat vielleicht sein Zuhause verloren, weil sein Besitzer gestorben ist oder ins Krankenhaus musste, weil ein Kind schwer allergisch reagierte oder aufgrund anderer Lebensveränderungen keine Zeit mehr für ihn da war. Er ist getrennt von denen, die er kannte, denen er vertraute. Er wartet darauf, dass alles wieder so wird, wie es war, sucht die Gerüche, die er kannte und die dafür sorgen, dass er sich wieder rundherum gut fühlt. Wenn es ein Straßenhund ist, ein ehemaliger Kettenhund, ein ausgedienter Jagdhund, sind die Chancen groß, dass er noch nie eine Klospülung gehört oder einen Haarföhn oder Staubsauger in Aktion erlebt hat. Er ist immer hungrig und gierig, stiehlt und schlingt sein Futter. Die Geräusche im Haus machen ihn nervös, er ist unruhig, fiept und läuft auf und ab. Beim kleinsten Geräusch zuckt er zusammen. Vielleicht musste er um sein Überleben kämpfen, Futter und Schutz suchen und Steinen und Flüchen ausweichen. Und jetzt ist er plötzlich in einem Zuhause und bekommt einen Crash-Kurs in Hunde-Sozialisierung und menschlicher Interaktion. Das muss den stärksten Hund erschüttern.
Lassen Sie den Hund nicht von der Leine, bevor Sie sicher sind, dass er Ihnen traut, dass er zu Ihnen kommt, wenn er sich erschreckt; dass er wirklich bei Ihnen Schutz sucht, wenn es darauf ankommt. Nein, das wird nicht in den ersten drei Wochen so sein, üben Sie es erst einmal in geschlossenem Gelände. Machen Sie sich keine Sorgen: Er braucht jetzt keine „Freiheit“ oder ausreichend „Auslauf“, sondern Sicherheit.
Es kann sein, dass dieser Hund zusammenzuckt, wenn man ihn streicheln möchte oder die Hand hebt, um sich die Haare zurückzustreichen. Aber machen Sie sich nicht zum Opfer seiner Vergangenheit, seiner Misshandlungen oder traurigen Dinge, die er vielleicht erlebt hat: Genaues wissen Sie nicht, und es hilft weder ihm noch Ihnen, sich derlei auszumalen. Er ist kein armer Hund mehr. Er hat den Jackpot: Er hat ein neues Leben geschenkt bekommen bei jemandem, der es nur gut mit ihm meint. Ihr Vertrauen in ihn, Ihr Selbstbewusstsein und Ihre Führung sind sein Schlüssel in eine gute Zukunft, gepaart mit gut geplanter, positiver Erziehung. Dann wird aus ihm der Hund, den Sie sich wünschen.
Die Verantwortung für einen Hund mit Geschichte zu übernehmen ist Arbeit. Aber es lohnt
sich: Nicht nur, weil man schon sehr schnell eine große Belohnung bekommt in Form der wundersamen Transformation vom verwahrlosten Entchen zum strahlenden Schwan. Die meisten schwierigen, problematischen Verhaltensweisen sind nur ein Ausdruck der Unfähigkeit des Hundes, sich an Ihre Persönlichkeit und Ihren Lebensstil anzupassen – wenn man das erst verstanden hat, wird die Arbeit mit dem Hund ganz leicht. Die Fortschritte können sehr, sehr langsam sein, man kommt an frustrierende Grenzen. Aber wenn man das Ganze nicht persönlich nimmt – denn der Hund macht ja nichts, um einen zu ärgern, sondern weil er nicht weiß, wie er sonst mit allen diesen Situationen umgehen kann; niemand hat ihm bisher gezeigt, wie es stattdessen gehen könnte -, dann ist es ein unglaublich spannendes Erlebnis.